Heinrich Böll mit Helmut Griem, Hauptdarsteller in »Ansichten eines Clowns«, 1975 | Bildquelle: dpa/Heinrich Sanden

Heinrich Böll

Heinrich Böll, geboren 1917 in Köln als achtes Kind des Bildhauers und Schreinermeisters Victor Böll und seiner Frau Maria, begann bereits als Schüler und aufmerksamer Beobachter seiner Umwelt mit ersten Schreibversuchen. Die Weltwirtschaftskrise, die einen beachtlichen Wohlstandseinbruch auch seiner Familie bedeutete, hinterließ bei dem nach leger kölnischer Art geprägten Katholiken Böll ein nachhaltiges Gespür für die Fragilität der Lebensumstände. Früh erkundete er, zunächst theologisch motiviert, gesellschaftliche Zustände und Normen und übte sich in Kritik daran. Böll begann nach dem Abitur und einer abgebrochenen Buchhändlerlehre ein Studium der Philologie, wurde jedoch mit Kriegsbeginn rasch zur Wehrmacht einberufen.

Seine ersten Werke gelten als Trümmer- und Heimkehrerliteratur.

Es folgten sechs Jahre durchdringende Militär- und Kriegserfahrungen in Polen, Frankreich, Russland, Rumänien und Ungarn, die grundlegend sein sollten für die anschließende schriftstellerische Schaffenszeit ab 1946. Seine ersten Werke gelten als Trümmer- und Heimkehrerliteratur; sie entstanden unter schwierigen Bedingungen und brachten noch lange nicht das notwendige Geld ein, das er als mittlerweile mehrfacher Familienvater benötigte. So arbeitete er nebenher als Schreinergehilfe, Nachhilfelehrer und Übersetzer.

Die frühen Texte sind geprägt von der Abneigung gegen das Militär und den Krieg sowie gegen die sie herbeiführenden und erhaltenden gesellschaftlichen Akteure und Strukturen. Noch in der 1961 entstandenen Erzählung »Als der Krieg ausbrach« wird der militärische Alltag als bloßer Stumpfsinn karikiert. Den Krieg empfand Böll als Auslieferung des Einzelnen an ein gewissenloses Regime, als Enteignung der individuellen Existenz des Menschen, als sinnlos und hoffnungslos, Entfremdung und Verlust (vgl. »Heinrich Böll«, Jochen Schubert, Theiss Verlag 2017, S. 59, 64). So vermittelt das Hörzitat aus »Als der Krieg ausbrach« einen Eindruck, wie das persönliche Leben des Protagonisten, ein junger Soldat, mehr und mehr in der unabwendbaren Maschinerie des Krieges zergeht, als er den Anruf seines Mädchens entgegennimmt.

Heinrich Böll liest im Rundfunk der DDR seine Erzählung »Als der Krieg ausbrach«, 18.02.1965 (KONF 2034694)

Dass Böll diese Erzählung 1965 im Rundfunk der DDR für die Reihe »Westdeutsche Schriftsteller lesen« vortrug, ist nicht verwunderlich angesichts seiner mittlerweile ausgearbeiteten Kritik an den restaurativen Tendenzen in der Bundesrepublik. Schon seit Ende der 1950er Jahre wurden seine Bücher regelmäßig und in hohen Auflagen auch in der DDR herausgegeben. Dennoch oder gerade deshalb schrieb er in der »Welt« vom 22. September 1961:

»Es gehört nicht der geringste Mut dazu, das Selbstverständliche zu sagen: Dass ich gegen die Mauer bin, froh über jeden, dem die Flucht gelingt.«

Neben seiner deutlichen Gesellschaftskritik – für Böll eine staatsbürgerliche Pflicht – war er jedoch »… zuallererst Schriftsteller – und als Schriftsteller und Künstler wollte er wahrgenommen werden.« (René Böll im Vorwort zur Biografie »Heinrich Böll«, ebd., S. 9). Böll selbst: »Ich liebe das Schreiben. Es ist für mich eine Freude, etwas aufzubauen. […] vor allem ist das Schreiben einfach der Wunsch, etwas zu erschaffen.« (ebd., S. 16) Reflexionen dieses Wunsches finden sich in der wenig bekannten autobiographischen Skizze »Warum ich kurze Prosa wie Jacob Maria Hermes und Heinrich Knecht schreibe«, die in miteinander verwobenen Handlungsebenen das Entstehen »der besten Kurzgeschichte« ironisch behandelt. Der Text wurde bereits im Januar 1966 in der Neuen Rundschau (Frankfurt) gedruckt und vom Hessischen Rundfunk als Lesung gesendet, am 31. Juli 1966 folgte die Erstausstrahlung im Rundfunk der DDR, Deutschlandsender. Die Aufnahme fand im Funkhaus Nalepastraße (Berlin) statt. Der Erzähler gibt dem Leser/Zuhörer bereitwillig unverzichtbare Tipps zum Erstellen guter Kurzprosa mit auf den Weg:

Heinrich Böll liest aus seiner autobiografischen ironischen Skizze »Warum ich kurze Prosa wie Jacob Maria Hermes und Heinrich Knecht schreibe«, 31.07.1966 (KONF 2032599)

So fand auch die Schwedische Akademie in Stockholm 1972 mit der Verleihung des Literaturnobelpreises bezeichnende Worte, als sie Bölls literarische Arbeit als solche würdigte, »die durch ihren zeitgeschichtlichen Weitblick in Verbindung mit ihrer von sensiblem Einfühlungsvermögen geprägten Darstellungskunst erneuernd im Bereich der deutschen Literatur gewirkt hat.« Ausschlaggebend für die Verleihung war der Bestseller »Gruppenbild mit Dame«, der die soziale Ausgrenzung bestimmter Personengruppen thematisiert. Etwa zu dieser Zeit erfolgte auch die literarische Beschäftigung mit Akteuren des Deutschen Herbstes und deren Darstellung in Teilen der deutschen Presselandschaft, wodurch Böll zu seinem Leidwesen in konservativen Kreisen als Sympathisant der RAF eingeordnet wurde und sein vermittelndes Potential zwischen den gesellschaftlichen Gruppen in mancher Beziehung ungenutzt blieb.

Weitaus unumstrittener konnte er seine vermittelnde Rolle als Vorsitzender des deutschen, später auch des internationalen Autorenverbandes P.E.N. von 1970 bis 1974 einnehmen. Hier knüpfte er durch seinen Einsatz für Autorenrechte und das Recht des freien Wortes auch außerhalb Deutschlands wichtige Kontakte. So führten ihn einerseits politisch motivierte Reisen mit dem Ziel der Konfliktlösung nach Bolivien und Ecuador, andererseits bot er den sowjetischen Schriftstellern und Dissidenten Alexander Solschenizyn und Lew Kopelew in seinem Haus Unterkunft.

In den 1980er Jahren unterstützte der entschiedene Kriegsgegner schließlich aktiv die bundesdeutsche Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss mit Sitzblockaden und öffentlichen Auftritten. Seine scharf formulierte Kritik am Ausmaß der weltweiten Aufrüstung hat bis heute nicht an Aktualität eingebüßt. 1985 starb Böll im Alter von 67 Jahren.

Adrian Haus

Online-Tipps

  • Heinrich Böll Stiftung mehr
  • Heinrich Böll in LeMO - Lebendiges Museum Online mehr
  • Bildungswerk Böll mehr
  • Heinrich Böll - Leben und Werk mehr
  • »Autoren erzählen - Heinrich Böll« ARD-Mediathek

 

CD-Tipp

  • Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1950-1998 mehr

 

Lese-Tipps anlässlich des 100. Geburtstags von Heinrich Böll (2017)