Rudi Dutschke auf einer Demonstration im April 1968 | Bildquelle: picture alliance/AP Images

Das Attentat auf Rudi Dutschke

Am 11. April 1968, kurz nach 16.30 Uhr, wurde Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm in Westberlin, in der Nähe der Geschäftsstelle des Sozialistischen Deutschen Studenten­bundes (SDS), von einem Attentäter angesprochen und durch drei Schüsse schwer verletzt. Dutschke war zu diesem Zeitpunkt einer der prominentesten Vertreter der antiautoritären Studenten­bewegung. Wie heute bekannt ist, hatte der Täter Josef Bachmann nicht nur neonazistische Überzeugungen, sondern auch Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Er beging später Selbstmord. Dutschke starb 1979 an den Folgen seiner Verletzungen.

Das Attentat löste anhaltende Proteste in bundesdeutschen Großstädten und in Westberlin aus. Der Axel-Springer-Verlag wurde von den Studenten wegen seiner Berichterstattung für mitschuldig an dem Anschlag erklärt. Vertreter des SDS und auch Dutschke forderten schon seit einiger Zeit die Enteignung des Konzerns. In Berlin demonstrierten nach einer Versammlung in der Technischen Universität am Abend des 11. April Studenten am Axel-Springer-Hochhaus. Scheiben wurden eingeschlagen und Autos in Brand gesetzt, um die Auslieferung der Zeitungen zu verhindern. Ein Polizei-Aufgebot verteidigte das Gebäude.

Am 12. April 1968 versammelten sich erneut Studenten in der TU Berlin zu einer Protest­veranstaltung, auf der Redner ihre Forderungen wiederholten. Ein Demonstrationszug führte ab 15 Uhr vom Lehniner Platz zum Rathaus Schöneberg. Vor dem Rathaus kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vorging.

Der Rundfunk der DDR berichtete in einer Sondersendung und in den aktuellen politischen Magazinen zum Thema. Der Anschlag wurde scharf verurteilt. Dabei erwähnten die Journalisten nicht, dass Dutschke in der DDR aufgewachsen und nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 in Westberlin geblieben, also ein DDR-Flüchtling war. Zwei Reporter des DDR-Rundfunks waren in Westberlin live vor Ort, um von den Protesten zu berichten. Zur Sondersendung kam der Journalist Peter Neuhof ins Studio in die Nalepastraße. Neuhof war offizieller Korrespondent des Rundfunks der DDR in Westberlin und wohnte auch im Westteil der Stadt. Die Reportagen wurden auf Band nach Ostberlin gebracht und geschnitten. Sie beeindrucken atmosphärisch durch unmittelbare Nähe zu den Ereignissen, mitunter steigert sich die Intonierung der Stimme wie bei Sportreportagen, um die Hörer ins Geschehen mit einzubeziehen.

Dabei erwähnten die Journalisten nicht, dass Dutschke in der DDR aufgewachsen und nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 in Westberlin geblieben, also ein DDR-Flüchtling war.

Sondersendung zum Attentat auf Rudi Dutschke im Rundfunk der DDR, 12.04.1968 (KONF 1864331)

Die bekannten, in die Zeitgeschichte eingegangenen Rufe und Sprechchöre wie »Bild hat mitgeschossen« und »Springer raus aus Westberlin« sind zu hören. Die Demonstranten skandieren »Rudi Dutschke«, die Megaphonstimmen der Studenten- und Polizeisprecher ertönen, es fallen Schüsse.

»Pulsschlag der Zeit« vom 12.04.1968 (KONF 6791510)

In den politischen Anmerkungen der Reporter und in Kommentaren wurde der Kampf der Protestbewegung gegen die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg betont. Die Bundesrepublik befand sich demnach auf dem Weg zur offenen »Notstandsdiktatur«. Der aktuelle Polizeieinsatz wurde als »Notstandsübung« und »Notstandseinsatz« bezeichnet. Häufig zogen die Berichterstatter Vergleiche zur Zeit des Nationalsozialismus. Ein Reporter kommt bei der Schilderung des Polizeieinsatzes zum Schluss:

»Das ist brutaler faschis­tischer Terror auf den Straßen Westberlins.«

Zur Untermauerung wurden auch biografische Kontinuitäten festgestellt. So wurde dem Kommandeur der Westberliner Schutzpolizei Hans Ulrich Werner vorgeworfen, ein ehemaliger SS-Offizier zu sein. Auch das Sonntagsgespräch des Deutschland­senders vom 14. April 1968 war dem Anschlag gewidmet. Zu Beginn wünschte Gesprächsleiter Kurt Ehrich (stellvertretender Vorsitzender des staatlichen Rundfunkkomitees der DDR) Dutschke Genesung und beteuerte: »Wir sind bei Rudi.« Die wöchentliche Gesprächsrunde richtete sich vornehmlich an Hörer in Westdeutschland und Westberlin und endete häufig mit Aufforderungen an die bundesdeutsche Bevölkerung, etwas gegen die gefährliche, reaktionäre Politik in ihrem Land zu unternehmen.

Sonntagsgespräch des Deutschlandsenders, 14.04.1968 (KONF 6791519)

So ruft dann auch Erich Rau (Sekretär beim Zentralrat der FDJ) als Teilnehmer am Gespräch vom Ostersonntag 1968 die westdeutschen Bürger dazu auf, eine »antifaschistische Einheitsfront« zu formieren.

Tilo Köhler

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