Foto: DRA/Waltraut Denger
Das Magazin »Prisma«
Das Fernsehmagazin »Prisma« benannte 28 Jahre lang Probleme im DDR-Alltag. Die Redaktion kritisierte Mangelwirtschaft und Bürokratismus, ohne die sozialistische Gesellschaft selbst in Frage zu stellen.
Dem Fernsehpublikum verpflichtet
Ein innenpolitisches Magazin, das Probleme im DDR-Alltag benennt? Zuschauerbriefe, in denen die Fernsehredaktion um Unterstützung gebeten wird, wenn mal wieder die Versorgungslage oder die Wohnsituation schlecht war? Auf den ersten Blick scheint dies unmöglich. Denn das DDR-Fernsehen war eher Instrument der SED zur Verkündung von Erfolgsmeldungen und weniger dazu bestimmt, den Ärger der Bevölkerung zu thematisieren. Über Alltagsprobleme wurde vereinzelt schon seit dem Beginn des DDR-Fernsehens 1952 berichtet. »Prisma« war allerdings neu, denn eine ganze Sendung, die sich ausschließlich damit beschäftigte, warum Kindertrainingsanzüge so teuer und Grünanlagen ungepflegt sind, oder der Frage nachgeht, wie Frauen trotz ihrer Mutterrolle sich beruflich weiterqualifizieren können, gab es in dieser Form noch nicht. Von dem Journalisten und späteren Dokumentarfilmer Gerhard Scheumann konzipiert und moderiert, ging »Prisma« im März 1963 auf Sendung. Wie Gerhard Scheumann in einem Interview nach 1990 betonte, fühlte sich die Redaktion nicht als Opposition innerhalb der sozialistischen Gesellschaft, sondern als ein Teil von ihr. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Sendung auch agitatorische Absichten verfolgte, beispielsweise wenn über die erfolgreiche Kartoffelernte berichtet wurde oder Arbeiter vor laufender Kamera sich Gedanken zur Steigerung der Arbeitsproduktivität machten.
Anfragen von »Prisma« waren in der DDR wie eine Eingabe – eine offizielle Beschwerde – zu werten. Eingaben hatten zwar keinen rechtlichen, jedoch einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, weil die Adressaten per Gesetz verpflichtet waren, diese Beschwerde fristgerecht zu bearbeiten.
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Guter Draht zu Regierungskreisen
Das »Prisma«-Team unterhielt engen Kontakt zu Ministerien, der Kommunalpolitik und zu den einzelnen Gremien der SED auf zentraler und regionaler Ebene. Einerseits stimmten die Journalistinnen und Journalisten so die Inhalte der Sendung mit den Verantwortlichen aus Produktion, Politik und Handel ab. Zum anderen versuchten sie auch in Erfahrung zu bringen, ob der Beitrag so gesendet werden konnte. Denn obwohl die Redaktion sehr selbstständig arbeitete, bestand immer die Gefahr, dass fertige Beiträge nicht gesendet werden durften oder Dreharbeiten abgebrochen werden mussten. So erinnert sich Rosi Ebner, Moderation des Magazins bis Dezember 1990, in einem Interview mit Susanne Pollert:
»In 18 Jahren ›Prisma‹ hatte ich immer den gleichen Albtraum: Ich werde die 30 Minuten Sendezeit nicht füllen können.«
Besondere Beziehungen unterhielt die »Prisma«-Redaktion zur Arbeiter- und Bauerninspektion (ABI). In einem Interview wünschte sich Heinz Matthes, der Leiter der im Mai 1963 gegründeten ABI, eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Journalisten.
Fest etabliert
Das innenpolitische Magazin im DDR-Fernsehen startete 1963. Zu dieser Zeit sendete das westdeutsche Fernsehen schon seit 1961 das Magazin »Panorama«, das von der Machart vergleichbar ist. Durch den Einsatz verschiedener Elemente – Musik, lockerer Sprachstil, Straßenumfragen, Gespräche mit Experten und nachgestellte Szenen – versuchte die »Prisma«-Redaktion ein ansprechendes Format zu entwickeln. In der Anfangszeit profitierte die Redaktion sicherlich von der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems in der DDR, bei der die Regierung weg wollte von der zentralistischen Lenkung hin zu einer erweiterten Selbstverwaltung der Betriebe mit Arbeitermitverantwortung. Das Konzept der Sendung »Prisma« schien in diese Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs zu passen. Und dies könnte auch ein Grund gewesen sein, warum es sich in der Medienlandschaft der DDR fest etablieren konnte. Die Sendung sollte Mut machen und Vertrauen zu den staatlichen Organen herstellen. Immer wurden auch Problemlösungen präsentiert: Der Kindertrainingsanzug konnte zum Beispiel weniger aufwendig produziert und der Preis halbiert werden.
Überlieferung im DRA
Im DRA sind die Sendungen von »Prisma« in großen Teilen überliefert. Sendeunterlagen geben einen Einblick in die Produktionsbedingungen. Überlieferte Zuschauerbriefe vermitteln einen Eindruck von den Alltagsproblemen mit denen sich die Bevölkerung an die Redaktion wandte.
Brigitta Hafiz
Online-Tipps
- »Prisma« in der ARD Mediathek unter »Retro Spezial DDR« mehr
- »Retro«-Gesamtangebot in der ARD Mediathek mehr
- Projektbericht zu »ARD Retro« aus »Bibliothek - Forschung und Praxis« (2020) mehr
Literatur-Tipps
Fischer, Jörg-Uwe: Das gefällt uns nicht. Kritisches in der Magazinsendung »Die kritische Kamera« und »Prisma« des DDR-Fernsehens 1953/63, in: Info 7 3/2007
Johnson, Uwe: Der 5. Kanal, Frankfurt am Main 1987
Kreutz, Anja, Pollert, Susanne, Rosenstein, Doris (Hrsg.): Fernsehen im Magazinformat. Zur Geschichte, Produktion und Kritik von Magazinsendungen des DDR-Fernsehens (1952-1990/91), Frankfurt am Main 2002
Merkel, Ina (Hrsg.): Wir sind doch nicht die Meckerecke der Nation – Briefe an das Fernsehen der DDR. Berlin 2000
Pollert, Susanne: Wo Licht ist, fällt auch Schatten. Das zeitkritische Magazin ›Prisma‹ im Kontext der DDR-Fernsehgeschichte, in: Kreutz, Anja, Heinze, Helmut (Hrsg.): Zwischen Service und Propaganda: zur Geschichte und Ästhetik von Magazinsendungen im Fernsehen der DDR 1952–1991, Berlin 1998
Pollert, Susanne: »Am Anfang habe ich Prisma live gefahren«, Ein Gespräch mit Gerhard Scheumann. in: Kreutz, Anja, Pollert, Susanne, Rosenstein, Doris (Hrsg.): Fernsehen im Magazinformat... 2002, S. 85–102
Pollert, Susanne: »Dank unserer Öffentlichkeit haben wir einiges verändern können«, Ein Gespräch mit Rosi Ebner, in: Kreutz, Anja, Pollert, Susanne, Rosenstein, Doris (Hrsg.): Fernsehen im Magazinformat... 2002, S. 103–120
Pollert, Susanne: » ›Prisma‹ zu produzieren war ständiges Taktieren«, Ein Gespräch mit Axel Kaspar, S. 121–140