Funkhaus Nalepastraße / Innenansicht Regie (1968) | Bildquelle: DRA/Rosemarie Fischer (1807212)

Das Hörfunkprogramm nach der Grenzschließung

»Bertolt Brecht wäre sehr stolz auf die DDR«

Kultursendungen im Berliner Rundfunk

Die Redaktionen Kulturpolitik und Literatur im Berliner Rundfunk nutzten vom 13. bis 19. August Stellungnahmen von Kulturschaffenden als bestimmendes Programmelement. Prominente Schriftsteller, Regisseure und Professoren bekannten sich ausdrücklich zu den »Maßnahmen« der Regierung.

Kulturschaffende begrüßen den Bau der Mauer

Der Bau der Mauer fand im Berliner Rundfunk und der Berliner Welle auch in den Arbeiten der Redaktionen Kulturpolitik und Literatur seinen Niederschlag. Dabei waren Stellungnahmen von Prominenten ein bestimmendes Gestaltungselement. Die zustimmenden Statements zu den Maßnahmen der Regierung wurden in verschiedene Sendungen eingebaut oder liefen als kurze Einspieler im Programm. Die Kulturschaffenden versprachen sich von diesen Maßnahmen eine Stabilisierung des Systems und hofften durch die äußere Entspannung auf verbesserte Entwicklungsmöglichkeiten für die Kultur in der DDR. Mit ihrer positiven Bewertung des Mauerbaus kamen sie neben weiteren Intellektuellen zu Wort, wie Professoren verschiedener Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Unter den im Deutschen Rundfunkarchiv überlieferten Stellungnahmen finden sich entsprechend bekannte Namen wie die der Schriftsteller Bruno Apitz, Erwin Strittmatter oder Helmut Baierl. Daneben sind die Wortmeldungen von Regisseur Andrew Thorndike, von der Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann, von Basil Spiru, einem Professor der Karl-Marx-Universität Leipzig, und von Professor Dr. Theodor Brugsch, dem langjährigen Direktor der Inneren Klinik der Charité Berlin, überliefert.

Das Kulturprogramm im Verlauf der Woche

Für Sonntag, den 13. August, sind im Kulturprogramm des Berliner Rundfunks noch keine Reaktionen auf die aktuellen Ereignisse rund um den Mauerbau zu finden. Morgens wurde wie geplant eine Sendung aus der Reihe »Atelier und Bühne. Kritiker am Mikrofon« ausgestrahlt. Die Themen der Sendung waren »Moskau – Weltstadt des Theaters« und eine Kritik zu dem ägyptischen Film »Djamila«, der den algerischen Befreiungskampf behandelt. Ähnlich unberührt bliebt zunächst das Kulturprogramm der Berliner Welle an diesem Sonntag – die halbstündige Sendung der Reihe »Gedanken und Skizzen« um 9:30 Uhr wurde wie vorbereitet ausgestrahlt, wenn hier auch durchaus Themen rund um die deutsch-deutsche Frage aufgegriffen wurden, wie im Beitrag »Alexander Abusch: Der Friedensvertrag als echte Alternative für alle deutschen Geistesschaffenden« oder im Beitrag »Prof. Dr. Grell: Mutige Intellektuelle in Westberlin«. Sonntagnachmittags und -abends fielen zwei Kultursendungen den Programmveränderungen zum Opfer: die Sendung »Vom Parkett gesehen« und die für 20:00 Uhr angekündigten »Lieder und Songs von Nationalpreisträger Bertolt Brecht« zum Todestag des Dichters.

Am 14. August reagierte das Kulturprogramm erstmals konkret auf die aktuellen Ereignisse und bauten in die kulturpolitische Spätabendsendung »Ereignisse und Erscheinungen« Stellungnahmen des Schauspielers Harry Hindemith und der Schriftsteller Elisabeth Hauptmann und Helmut Baierl ein. Elisabeth Hauptmann nahm in ihrem Statement Bezug auf Bertolt Brecht, dessen langjährige Mitarbeiterin sie war:

»Wenn Bertolt Brecht diesen Tag erlebt hätte, wäre er sehr stolz auf die DDR. Er, der eingeschworene Feind des raubsüchtigen Militarismus, des Revanchismus. Er wäre stolz gewesen über die Maßnahmen, die jetzt getroffen worden sind, um ein friedliches Leben in dem demokratischen Sektor von Berlin und der DDR zu sichern.«

Elisabeth Hauptmann

Elisabeth Hauptmann in der Sendung »Ereignisse und Erscheinungen« (Berliner Rundfunk, 14.08.1961).

Am Dienstag und Mittwoch kam es erneut zu Sendungsausfällen: dienstags entfielen die Sendungen »Prosa und Lyrik der Völker« und »Jan Neruda: Jugenderinnerungen«, mittwochs wurde die Sendung der Reihe »Neues für den Bücherschrank« durch einen Bericht über die Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens in Gold an Landesbischof Moritz Mitzenheim durch Walter Ulbricht ersetzt.

Zunehmend gelang es den Programmschaffenden im Wochenverlauf aber auch, die aktuellen Ereignisse im Kulturprogramm aufzugreifen, in dem sie Sendungen inhaltlich anpassten oder neue Sendungen und Beiträge ins Programm aufnahmen: So stand beispielsweise am Mittwoch die Spätsendung »Wissenschaft im Dienste des Friedens« ganz im Zeichen des Mauerbaus. In einem Gespräch mit Professor Dr. Alfred Zimm ging es um seine ökonomisch-geografischen Untersuchungen zur »Frontstadt-Situation« in Westberlin. Anschließend folgte eine Stellungnahme zu den Maßnahmen der Regierung von Professor Dr. Theodor Brugsch, dem langjährigen Direktor der Inneren Klinik der Charité in Berlin.

Ähnliche Stellungnahmen und Reden zu den aktuellen Ereignissen zogen sich durch diese »Woche im August«. Im weiteren Wochenverlauf kamen im Berliner Rundfunk und im Ergänzungsprogramm der Berliner Welle in den Kultursendungen unter anderem noch Albert Wilkening (Direktor des DEFA-Spielfilmstudios), Andrew Thorndike (Dokumentarfilmregisseur), der Politiker Max Reimann (KPD) sowie die Schriftsteller Erwin Strittmatter, Stephan Hermlin und Bruno Apitz zu Wort.

Die Kulturschaffenden griffen dabei häufig das auch in den offiziellen Verlautbarungen von Staatsseite stetig wiederholte Argument auf, dass die »Sicherung der Staatsgrenze« eine notwendige Schutzmaßnahme für die DDR-Bürger sei. Oder mit den Worten Andrew Thorndikes:

»Sie würden auch verstehen, warum ich heute erst ein wenig nach Luft schnappen musste, als mich einer fragte: Finden Sie das denn etwa schön, diesen Stacheldraht quer durch Berlin? Schön finde ich ihn schon gar nicht, antwortete ich ihm, schön kann man Stacheldraht nicht finden. Sicherlich aber ist er notwendig.

Ich stellte ihm eine Gegenfrage: Finden Sie denn etwa diese Spionagenester schön, die Abwerbungszentralen, die Hetzsender? Finden Sie all das schön, womit West-Berlin gespickt ist? Finden Sie schön, wie man versucht hat uns auszuplündern, auf jede nur denkbare Weise? Fanden Sie den Schwindelkurs schön und die Grenzgänger? Finden Sie schön, wie der Herr Brandt und seine Brotgeber auf unsere mehr als hundert Vorschläge reagiert haben, die Lage zu normalisieren? Vorschläge, die wir machten, ohne unseren West-Berliner Landsleuten auch nur das Geringste von dem zu nehmen, worauf sie nun einmal so furchtbar stolz sind?«

Andrew Thorndike

Ausschnitt aus der Stellungnahme Andrew Thorndikes (Berliner Welle, 19.08.1961).

Am Freitag, dem 18. August, wurde Stellungnahme des Nationalpreisträgers Erwin Strittmatter neu ins Programm aufgenommen – und gleich zweimal gesendet. Der Schriftsteller setzte sich für den von der Sowjetunion forcierten Friedensvertrag ein:

»Mit den jüngsten Maßnahmen an der Grenze, die durch unsere Heimatstadt gezogen wurde, haben wir unserem Unbehagen über schlechte Gewohnheiten und Gewohnheitsrechte Ausdruck verliehen und den Gang der Entwicklung gefördert. Wer Frieden wünscht, muss auch den Friedensvertrag wünschen. Wer für Frieden kämpft, muss auch um den Friedensvertrag kämpfen. Ein Frieden ohne Vertrag ist wie die Suppe auf der Hand.«

Erwin Strittmatter

Ausschnitt aus der Stellungnahme des Nationalpreisträgers Erwin Strittmatter (Berliner Rundfunk, 18. August 1961).

Neben Stellungnahmen von Kulturschaffenden wurden auch aktuelle Veränderungen im Kulturleben von Berlin thematisiert, die auf die Grenzabriegelung zurückzuführen waren. Freitagsnachmittags beschäftigte sich der »Beitrag unseres Theaterredakteurs« so zum Beispiel mit der Absetzung des Brecht-Stücks »Herr Puntila und sein Knecht Matti« im Westberliner Schillertheater. Die Premiere wurde von Intendant Boleslaw Barlog mit Rücksicht auf die aktuelle Situation in Berlin abgesagt.

Doch der Mauerbau als aktuelles Ereignis war nicht das einzige, auf das das Kulturprogramm des Berliner Rundfunks in dieser Woche schnell reagieren musste: Auch der Tod des Schriftstellers Leonhard Frank wurde in einer Sondersendung aufgegriffen.

Die Rolle des Kulturprogramms im Hörfunk der DDR

Das Programm des Berliner Rundfunks umfasste im Jahr 1961 einen Wortanteil von 35,4 Prozent. Der Hauptteil dieser Sendungen war der aktuellen Politik gewidmet. Immerhin 8,4 Prozent des gesamten Programmvolumens entfielen nach einer im Deutschen Rundfunkarchiv überlieferten Aufgliederung der Programmstruktur auf kulturelle Sendungen.

Sendungen mit kulturellen Inhalten spielten in der jungen DDR eine bedeutende Rolle, da dem Thema Kulturpolitik in der öffentlichen Diskussion ein breiter Raum gegeben wurde. Auch und gerade die Kultur sollte zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft beitragen.

Auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 wurde die Kulturrevolution als notwendiger Bestandteil der sozialistischen Revolution ausgerufen. Die Kulturschaffenden sollten die Kluft zwischen Kunst und Leben überwinden. Diese Proklamation mündete in den so genannten Bitterfelder Weg. Namensgebend dafür war eine Autorenkonferenz, die im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld am 24. April 1959 unter dem Motto »Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalkultur braucht dich!« stattfand. Diese erste Konferenz sollte eine Neuausrichtung der DDR-Kulturpolitik einläuten. In seinem Schlussreferat »Fragen zur Entwicklung der sozialistischen Literatur und Kunst« appellierte der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht an die Kulturschaffenden am Alltag der Arbeiter teilzunehmen und animierte die Arbeiter selbst zu künstlerischem Schaffen. Diese Appelle beeinflussten auch die Programme des Hörfunks und Fernsehens der DDR.

Alexandra Luther

Literatur

  • Herbst, Maral: Demokratie und Maulkorb. Der deutsche Rundfunk in Berlin zwischen Staatsgründung und Mauerbau, Berlin 2002.

  • Judt, Matthias (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn 1998.

  • Staatliches Rundfunkkomitee. Abteilung Planung/Statistik: Entwicklung des Deutschen Demokratischen Rundfunks in den Jahren 1957 bis 1964 (Schriftgut DRA Babelsberg, unveröffentlicht).

 

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