Rundfunkmitarbeiter beim Abhören einer Aufnahme, Funkhaus Masurenallee, Berlin Ende 1940er Jahre. Pelz von Felinau vorne links | Bildquelle: DRA/Werner Hermann (Bild-ID 1477045)

»Das Wasser ist da. Verbrecherwasser.«

Am 5. Juli 1945 wird das erste Hörspiel nach dem Krieg im deutschen Rundfunk ausgestrahlt: »Hypnose« von Josef Pelz von Felinau

Der bekannte Zauberer Torro gibt ein Gastspiel im Neapel vergangener Tage. In seiner Aufführung suggeriert er seinen Zuschauern im Theatersaal, dass eine Flut die Stadt überschwemme. Er löst damit eine Panik aus und verursacht einen tragischen Ausgang des Abends.

Fast zwei Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs, an einem Donnerstagabend im Juli, konnte das Publikum des Berliner Rundfunks das erste neu produzierte Hörspiel auf seinen Radiogeräten empfangen. Es war nicht nur ein spannender Thriller – wie wir heute sagen würden – über einen Hypnotiseur mit kriminellen Absichten und eine ihm ausgelieferte Menschenmenge, der als Abendunterhaltung eine willkommene Ablenkung bot. Das Narrativ kann auch als Abbild und Paraphrase eines Deutungsmusters von Politik und Gesellschaft während des NS-Regimes gelesen werden:

Ein charismatischer und wortgewaltiger Redner manipuliert eine versammelte Gesellschaft durch hypnotische Suggestion. Mit verursacht wird die gefährliche Lage durch eine »hysterisch« bezeichnete Frau, die sich den Anweisungen der Behörden und des Hypnotiseurs widersetzt und trotz Frauenverbot in die Männergesellschaft eindringt. Allen droht eine Naturkatastrophe, die Chaos und Untergang bedeutet, evoziert durch den Verführer auf dem Podium, der gleichzeitig Befreiung verspricht. Wäre da nicht der couragierte Ehemann, ein Kapitän von hohem gesellschaftlichen Ansehen, der die Anwesenden durch einen klaren Kopf, beherzte Ansprache und letztendlich »heldenhaftes« Eingreifen im letzten Moment rettet.

Gleich mehrere Aspekte scheinen bezeichnend für Tendenzen der Nachkriegsgesellschaft. Manche erhofften sich psychologisch-moralische Entlastung angesichts der unfassbaren Gräuel der Naziherrschaft. Ihnen kam dabei eine sinnstiftende Erzählung, wie sie in »Hypnose« zu finden ist, möglicherweise zugute: Das Unheil als Naturkatastrophe, die über die Menschen hereinbricht und der sie unverschuldet ausgeliefert sind. Die Rettung durch die Heldentat eines Einzelnen, der als widerständiger Volksaufklärer charakterisiert wird und der in vollkommener moralischer Integrität die Erlösung herbeiführt. Und besonders prägnant: Die Figur des Hypnotiseurs Torro als charismatischer Demagoge, der das versammelte Volk manipuliert und als Retter auftritt, sich aber als Zerstörer entpuppt. Die Gestaltung des Torro ist dabei zentrales Element des Hörspiels. Sein Monolog ist als Klimax angelegt: Bilderreich, metaphorisch dicht, ja geradezu apokalyptisch schildert er die nahende Flut und spitzt die Handlung dramatisch zu, nicht zuletzt durch einen kunstvoll-soghaften Einsatz der Sprechstimme und dramatische Gestaltungselemente wie ein Countdown. Als funkdramatischer Effekt setzt das Geräusch von fließendem Wasser ein. Wenn Torro die Menge fragt »Hört Ihr das Rauschen? Das Wasser ist da!«, kommentiert Torros Gegenspieler dies mit »Verbrecherwasser!« – und deutet damit das Geschehen eindeutig moralisch aus:

»Hypnose« (Ausschnitt), Erstsendung: 05.07.1945 (KONF 1446317)

Das Hörspiel wurde vom Rundfunkpionier, Hörspielautor und -sprecher Josef Pelz von Felinau (1895-1978) verfasst. Er selbst – ein zu Lebzeiten unter Rundfunkhörern sehr bekannter Sprechkünstler – gestaltet auch die Rolle des Hypnotiseurs Torro. In den wenigen Quellen wird allein Felinau als Verfasser von »Hypnose« genannt, obwohl das Hörspiel eine Bearbeitung von »Das Wasser steigt« von Geno Ohlischläger aus der Zeit der Weimarer Republik ist. Das für den Sender Breslau entstandene Originalhörspiel war erstmals im Dezember 1930 in der Schlesischen Funkstunde zu hören. Seine Popularität zeigt sich uns heute durch den Umstand, dass das Hörspiel auch bei anderen Rundfunksendern der Weimarer Republik und sogar im europäischen Ausland mehrfach inszeniert wurde, bis hin zu einer Adaption Anfang der 1930er Jahre beim US-amerikanischen Sender NBC unter dem Titel »The flood is rising«.
In einer Fassung von »Das Wasser steigt«, die am 16. April 1939 im Deutschlandsender lief, sprach Pelz von Felinau erstmals die Rolle des »unerbittlichen Magiers« und kam dadurch vermutlich zum ersten Mal in Kontakt mit dem Hörspiel, das er dann als eigenes Werk adaptierte und mit dessen Produktion er die Hörspielära nach 1945 neu einläutete.

Karin Pfundstein

ARD Hörspieldatenbank

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Literatur-Tipp

  • Bernd Löw, Susanne Höschel: Hörspiel 1945-1949: Eine Dokumentation, Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Verlag für Berlin-Brandenburg, 1997 mehr
  • Karin Pfundstein: Das Rundfunkschaffen von Josef Pelz von Felinau. Ein Nachlass am Deutschen Rundfunkarchiv. Funkdramatik und anekdotisches Erzählen vor dem „akustischen Mikroskop“, in: Rundfunk und Geschichte 3-4/2020 mehr

 

CD-Tipps

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