Foto: DRA/Werner Herrmann
Volksbegehren 1948
Einmalige öffentliche Diskussion in Berlin
Am 11. Juni 1948 kam es in Berlin zu einem einmaligen Ereignis in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte: Vertreter des Berliner Rundfunks und des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) trafen sich zu einem Streitgespräch über die Zukunft des deutschen Volkes.
Hintergrund für die Veranstaltung waren die Empfehlungen der Londoner Sechsmächtekonferenz (23. Februar – 2. Juni 1948) zur Gründung eines westdeutschen Staates sowie das vom Zweiten Deutschen Volkskongress (17./18. März 1948) in der sowjetischen Besatzungszone initiierte Volksbegehren für Einheit und gerechten Frieden. Unter der Leitung von Axel Eggebrecht diskutierten für den Berliner Rundfunk Peter Alfons Steiniger, Wolfgang Harich, Herbert Geßner sowie Karl-Eduard von Schnitzler und für den NWDR Eberhard Schütz, Peter von Zahn, Willy Troester sowie Hans Erwin Haberfeld. Das Gespräch wurde im Großen Sendesaal des Funkhauses an der Masurenallee vor Publikum geführt und in West und Ost unzensiert ausgestrahlt.
»Das ist keine Demokratie. Unter solchen Umständen kann auch kein Volksbegehren durchgeführt werden.«
Willy Troester, 11. Juni 1948
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Die argumentativen Strategien der Vertreter beider Rundfunkanstalten spiegelten im Wesentlichen die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit zuspitzenden ideologischen Gegensätze zwischen Ost und West wider. Während die Vertreter des Berliner Rundfunks darauf bestanden, dass das Volksbegehren in der Ostzone alle demokratischen Voraussetzungen erfülle, hielten die Vertreter des NWDR dagegen, dass es in der Zone keine Meinungsfreiheit oder eine tatsächlich pluralistische Parteienlandschaft gebe. Die Bevölkerung werde durch Druck zum Einzeichnen beim Volksbegehren genötigt. Ferner bediene sich die SED des im Dritten Reich anerzogenen Untertanengeistes.
Die Berliner zitierten daraufhin kürzlich veröffentlichte Statistiken, die in einigen Bereichen im Osten nur wenig Zustimmung zum Volksbegehren zeigen, und sahen darin den Vorwurf von Repressalien hinreichend widerlegt.
Außerdem, so argumentierten sie weiter, sei das Volksbegehren in zwei der drei Westzonen sogar verboten – und das neben ganz ähnlichen Versuchen, Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Hier, um sie vom Einzeichnen beim Volksbegehren abzubringen. Weiterhin wurden Politiker der Westzonen durch die Berliner der Kriegstreiberei und des Chauvinismus gegen die Völker im östlichen Europa bezichtigt, wohingegen die Hamburger eine Gefahr in einem innerdeutschen Chauvinismus des Ostens gegen den Westen sahen.
»… oder aber man ist für die Einheit Deutschlands. Dann muss man die Londoner Empfehlungen eindeutig ablehnen und für das Volksbegehren eintreten.«
Herbert Geßner (Berliner Rundfunk), 11. Juni 1948
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Trotz aller Meinungsverschiedenheiten sicherten beide Seiten zu, eine Einheit Deutschlands nicht nur zu befürworten, sondern für das Überleben des deutschen Volkes als notwendig zu erachten. Die Frage aber, unter welchen politischen Vorzeichen eine solche Einheit zustande kommen könnte und welche Zone Deutschlands sich welcher anschließen solle, darüber bestanden tiefgehende Differenzen. Die Vertreter des Berliner Rundfunks hoben den unvereinbaren Gegensatz zwischen Befürwortern der Londoner Empfehlungen und jenen des Volksbegehrens hervor – war man für das eine, konnte man für das andere nicht sein und vice versa.
Die Vertreter des NWDR konterten, dass auch die Menschen in den Westzonen keinen Einfluss auf die Vorgänge in London gehabt hätten. Das Volksbegehren abzulehnen bedeute nicht, auch die deutsche Einheit abzulehnen. Es gäbe auch andere Wege zur Herbeiführung der deutschen Einheit als das von der östlichen Besatzungsmacht ins Leben gerufene Volksbegehren.
Abgesehen vom Willen zur Einheit schien beide Seiten lediglich die Tatsache zu verbinden, dass man die Verläufe der deutschen Ost- und Westgrenzen noch nicht für endgültig geklärt hielt.
Die knapp bemessene Sendezeit von einer Stunde war schnell vorbei. Die Diskussion wurde an lebhafter Stelle abgebrochen und hinterließ beim Zuhörer den Eindruck von Unvollständigkeit. Trotz eines am Ende durch Axel Eggebrecht ausgesprochenen Angebots zur Wiederholung einer solchen politischen Debatte zwischen Ost- und Westrundfunk – diesmal in Hamburg – kam ein weiteres Treffen dieser Art bis zum Jahr 1989 nicht mehr zustande.
Eine Transkription des Gesprächsverlaufs der im Deutschen Rundfunkarchiv vorliegenden Fassung der Sendung sowie eine kurze Analyse der Vor- und Nachgeschichte dieses außergewöhnlichen rundfunkgeschichtlichen Ereignisses findet sich in Pietrzynski, I.: »Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte – Diskussion zwischen Berliner Rundfunk und Nordwestdeutschem Rundfunk am 11. Juni 1948«, in Rundfunk und Geschichte 22. Jahrgang Nr. 2/3 (1996), S. 129–143.
Maja Kreft
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